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Mobbing und Bossing

Mobbing und Bossing

 

 

Alle tun es. Die Kollegen, der Chef, die Nachbarn, Ihr Lebenspartner, der freundliche Herr im Supermarkt, einfach alle: MOBBEN ...

Lassen auch Sie sich nicht länger um Ihr verdientes Glück betrügen, denn: Lieber gut gemobbt als schlecht gelebt.

  (aus Alexander Vier: Ich mobbe gern)


Das Telefon klingelt. Auf dem Display des Geräts erkenne ich die Nummer meines Kollegen Klaus-Peter. Während ich mich anschicke, den Hörer abzunehmen, muss ich an den gestrigen Abend denken. Klaus-Peter war bei mir, und wir diskutierten stundenlang seine Probleme. Der von mir trotz seiner inakzeptablen Einstellung zum Leitbild unserer Organisation geschätzte Kollege gehört zu einer besonderen Spezies Mensch – zur eigenwilligen. Offenbar ist es ihm in die Wiege gelegt worden, oft und überall anzuecken. Es gibt kaum ein Fettnäpfchen in unserer Behörde, dem Klaus-Peter ausweicht. Dabei ist er im privaten Bereich durchaus verträglich.

 

Klaus-Peter ist der Prototyp eines engagierten, kreativen und fleißigen Beamten und damit nach herkömmlicher Lesart geradezu zum Mobbingopfer prädestiniert. Er fällt aus der Rolle, weil er meint, sich mit systemtypischen und insbesondere bürokratischen Hemmnissen nicht abfinden zu können und deshalb häufig gegen den Strom schwimmen zu müssen. Neuerdings hat er sich sogar mit unserem Behördenleiter angelegt. So etwas tut man nicht.

 

Was er jetzt wohl wieder will?

 

„Hallo, Klaus-Peter ... eigentlich habe ich wenig Zeit, aber ... Natürlich kenne ich ... Es gibt viele Bücher über dieses Thema ... Ein besonders empfehlenswertes hat den Titel ‚Ich mobbe gern‘ ... Wie, Psychoterror am Arbeitsplatz? … Du wirst von ... Auf der Abschussliste? ... Wundert dich das? ... Du solltest ... Lass’ mich doch mal ausreden. Du solltest auch mal ... Wenn du dich immer wieder als Kritiker ... Ach, Wahrheit - was ist schon Wahrheit? Die sucht man doch dort, wo man sie finden will ... Dass du kein Drückeberger und kein Faulpelz bist, weiß ich, aber ... Mach’ es doch wie ich und ... Ich verhalte mich frei nach dem Pareto-Prinzip ... Kennst du nicht? ... Ganz einfach: Man kann mit 20 Prozent seines Potenzials 80 Prozent Ergebnisse erzielen. Das reicht allemal für eine Behörde wie … Den Rest hast du dann zur Verfügung, um ... Du solltest besser an deine Karriere denken, anstatt ... Wie? ...

 

Ja, wenn ein Boss mobbt, nennt man es logischerweise Bossing ... Ist doch eine Binsenweisheit, dass sich manche Chefs von starken Mitarbeitern bedroht fühlen ... Vielleicht aus Mangel an Selbstbewusstsein ... Dann ‚bossen‘ sie womöglich - eine Art Selbstverteidigung ... Moment, ich habe eine wissenschaftliche Definition von ‚Bossing‘. Ich suche sie heraus und rufe zurück.“

 

Klaus-Peter ist heute völlig neben der Rolle. Unserem gemeinsamen Chef Mobbing bzw. Bossing zu unterstellen, geht einfach zu weit. Gewiss, der ist nicht ganz unumstritten (wer ist das schon?), aber wenn man ihm devot und ... Ah, da ist es, fährt es mir durch den Sinn, als ich in einem Papierstapel die ausgedruckte Internetseite über „Mobbing und Bossing“ entdecke.

 

„Ja, ich bin es wieder... Also, ich zitiere: ‚Bossing – Drangsalieren Chefs oder Vorgesetzte ihre Mitarbeiter, sprechen die Forscher von Bossing – eine sehr deutsche Mobbing-Variante, Folge der strengen Hierarchien... Die Ursache ist, dass Vorgesetzte oft Persönlichkeitsprobleme haben. Nach einer Studie sollen 70 Prozent der deutschen Führungskräfte neurotisch gestört sein...’ Ob das aber wahr ist ...“

 

„Wie ... du meinst, dass unser Chef einen mobbiistischen Führungsstil ... Ich glaube, du fühlst dich verfolgt ... Dann kann ich dir auch nicht helfen.“

 

Ich bin sauer auf Klaus-Peter. Er ist keinem vernünftigen Argument zugänglich. Ich werde ihm zum Geburtstag das Buch von Alexander Vier schenken. Das bringt ihn auf andere Gedanken – und hoffentlich zum Umdenken.