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Schein und Sein

Schein und Sein

Eine Parabel

 

Ein Umzug ist eine meist unangenehme, aber auch sehr nützliche Angelegenheit. Er ermög­licht es, sich von zahlreichem Gerümpel zu trennen und bringt manch­­mal Dinge ans Tageslicht, die wegen ihrer weltgeschichtlichen Bedeutungslosigkeit zwar in keinem Ge­schichts­­­­buch erwähnt werden, aber doch aufzeigen, dass menschliche Schwächen und Eitelkeiten zeitlos sind. Wie z.B. die nachfolgenden fragmentarischen Aufzeichnungen eines Zeitzeugen über den Drang, mehr sein zu wollen als man ist.

 

„ … Informicus hatte es geschafft. Er war im Machtgefüge von Cäsarius unverzichtbar geworden. Cäsarius empfand sich als eine Art Statthalter im römischen Kastell am Zusammenfluss von Mosel und Rhein. Mit dem bereits einige Jahrzehnte toten Cäsar hatte er nur zwei Silben seines Namens gemeinsam. Rom war weit weg, und so konnte Cäsarius schalten und walten, wie es ihm beliebte. Da das Wort „Zivilcourage“ noch nicht erfunden war, hatte er nicht zu befürchten, dass sich jemand seinen Anordnungen widersetzte. Wenn, ja wenn da nicht weiter nördlich jener Vorposten seines Kastells gewesen wäre, später bekannt als Castra Bonnensia.

Wie gesagt, Informicus war für Cäsarius unent­behrlich, insbesondere was diesen Vorposten mit seinen eher aufmüpfigen Bewohnern betraf. In jahrelangen Bemühungen war es Informicus gelungen, sich mit einer ungemein Vertrauen erweckenden Aura zu umgeben. Wo immer er mit Menschen zusam­men­traf, schütteten sie ihm ihr Herz aus. Diesen Umstand nutzte Cäsarius und übertrug Informicus eine leitende Position in dem ihm suspekten Vorposten. Er hoffte, damit eventuellen Sezessionsbestrebungen zum eigenständigen Kastell frühzeitig begegnen zu können (Anmerkung: Wie wir aus der Geschichte wissen, war ihm dies nicht gelungen).

Während die meisten Bewohner des Vorpostens Tag und Nacht schufteten, um ihre Häuser weiter zu befestigen und die Felder zu bestellen, sonnte sich Informicus lieber in seinem Glorienschein und kommunizierte mit den weniger fleißigen Einwohnern. Die Erkenntnisse aus seinen Gesprächen gab er an Cäsarius weiter, der ihn großzügig belohnte. Mehr und mehr musste er aber Informationen erfinden, um seinen Auftraggeber zufrieden stellen zu können. Dabei nahm er es immer häufiger mit der Wahrheit nicht so genau.

Als aus Rom regelmäßige Inspektionen angekündigt wurden, ward Informicus bewusst, dass er zum Ausbau des betroffenen Vorpostens am Rhein noch keinen konkreten Beitrag geleistet und insofern auch nichts Sichtbares vorzuweisen hatte, mit dem er vor den Inspektoren bestehen und vor Cäsarius noch mehr glänzen konnte. In für ihn ungewohnter Betriebsamkeit legte er nun selbst Hand an, begnügte sich beim Bau seines Hauses aber mit der Fassade, welcher er zum Schluss einen repräsentativen Anstrich verpasste. Stolz betrachtete er sein grandioses Werk und schaute mitleidig auf die vergleichsweise schlichten Häuserfronten seiner Nachbarn.

Cäsarius war hochzufrieden mit den Arbeitsergebnissen seines Günstlings und lobte ihn über alle Grenzen hinweg. Er konnte nun den Inspektionen gelassen entgegen sehen. Einwände der anderen Bewohner, das Haus des Informicus bestünde nur als Kulisse, ignorierte Cäsarius. Informicus verschönte fortan unermüdlich die Front seines Scheinhauses und ließ die Ergebnisse jeweils täglich in Öl oder als Aquarell festhalten. Die Bilder sandte er nach Rom, um auch dort seinen Ruf als Baumeister zu verbreiten.

Eines Tages braute sich ein Unwetter zusammen. Die Bewohner verriegelten die Türen und Fenster ihrer Häuser, weil sie eine stürmische Nacht erwarteten. Informicus besorgte sich eine Plane, um damit seine bunte Hausfassade zu schützen. Der Regen kam sintflutartig. Es blitzte und donnerte die ganze Nacht, und mehrere Wind­hosen fegten nacheinander durch die kleine Ansiedlung. Dann war es plötzlich still. Nur ein lautes Jammern war zu vernehmen. „Mein Haus, mein schönes Haus! Sie haben es zerstört!“

Das Licht der aufgehenden Sonne brachte es an den Tag: Den solide gebauten Häusern der meisten Bewohner konnte der Sturm nichts anhaben. Die grandiose Fassade des Informicus hingegen war zusammengebrochen. Kein Stein lag mehr auf dem anderen. Und Informicus?  

Der saß auf den Trümmern seines Werkes und weinte mitleidheischend …“.