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Abwrackprämie

Abwrackprämie

Betrachtungen zur Konjunkturbelebung

 

 „ … ist eine staatliche Prämie, die in Deutschland im Rahmen des Konjunkturpakets II … beschlossen wurde … Sie soll einerseits den Absatz von Kraftfahrzeugen fördern und damit die Automobilindustrie stützen und andererseits einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz liefern …“

(Aus Wikipedia, Januar 2009)­

 

Endlich, endlich hat sich unsere Regentin dazu durchgerungen, einen Rettungs­schirm zur Konjunkturbelebung aufzuspannen, der auch Otto Normalverbraucher unmittelbar zugute kommt. Es ist zwar nicht die schon vor der Bundestagswahl 2005 versprochene und längst fällige strukturelle Steuerreform, aber immerhin eine finanzielle Entlastung, die mir und meiner Frau wenigstens einen halben Kinobesuch zusätzlich ermöglichen wird. Jeden Monat. Auf den billigen Plätzen. Leider greift dieser Balsam erst ab der zweiten Jahreshälfte, im Gegensatz zur „Umweltprämie“, wie sie die Bundesregierung in offiziellen Verlautbarungen bezeichnet. Diese Wohltat zwecks Verschrottung alter Autos und zum Kauf von Neuwagen gilt ab sofort. Eine schnelle und mutige Entscheidung, die gleich hinter dem Banken-Rettungsschirm von einer halben Billion Euro rangiert. Von den bundesweit die Umwelt verpestenden 16 Millionen Altautos (gem. Kraftfahrt-Bundesamt 29 % des gesamten Fahrzeug­bestandes) sind immerhin 600.000 begünstigt worden. Das sind nach Adam Riese zwar nur 3,75 % der Verschrottungskandidaten, aber für unsere Politiker ein nicht unwesent­licher Beitrag zum Umweltschutz. Zu mehr reichten die hierfür vor­ge­sehenen Finanz­mittel von 1,5 Mrd. Euro zunächst nicht. Aber ... es wird ja bekanntlich nachgelegt. Schließlich haben wir ein Superwahljahr.


„Wir müssen uns sofort ein Antragsformular für diese Prämie besorgen“, erkläre ich meiner Frau beim Frühstück, kaum dass ich den betreffenden Artikel in meiner Tages­zeitigung gelesen habe.

„Wieso?“, entgegnet sie schlicht.

„Nun, wenn nur jeder fünfundzwanzigste potenzielle Altautobesitzer in den Genuss dieser Prämie kommen kann, wird ein großer Run einsetzen. Es ist wie Sale in unseren Kaufhäusern.“

Schon längst haben wir uns dem modernen Sprachgebrauch angeschlossen und vermeiden tunlichst die archaischen Be­griffe „Sommerschlussverkauf“ und „Winterschlussverkauf“. Der Anglizismus „Sale“ bedeutet „Schnäppchen“, auch wenn er im Französischen für „schmuddelig“ steht.


„Die Prämienbewilligung geschieht nach dem Windhundverfahren, also nach dem Prinzip wer zuerst kommt, mahlt zuerst,“ kläre ich meine Frau weiter auf. „Deshalb hat der inzwischen abgewrackte Bundeswirtschaftsminister zur Eile gemahnt und gesagt: Mit der Abwrackprämie gehen wir den alten Dreckschleudern an den Kragen und helfen unserer Automobilindustrie …“

„Wieso Abwrackprämie?, ich denke, es ist eine Umweltprämie?“, unterbricht mich meine bessere Hälfte.

„Na ja, Umweltprämie ist halt das offizielle Mäntelchen. Aber Abwrackprämie finde auch ich treffender. Und wenn ein Mitglied der Bundesregierung …“

„Tu, was du nicht lassen kannst“, erwidert meine Frau, „aber unser Auto ist doch noch nicht so alt, dass es verschrottet werden muss. Und eine Dreckschleuder ist es schon gar nicht. Immerhin hat es die grüne Umweltplakette.“


Damit hat meine regelmäßige Beifahrerin die uns betreffende Angelegenheit auf den Punkt gebracht. Wir haben nämlich einen Verschrottungskandidaten,­­ der inzwischen mehr als zwölf Jahre unter der Motorhaube hat, aber in die Kategorie schadstoffarm D3 eingestuft ist. Soll dieses Auto, dem vor einem Jahr beanstandungsfrei die TÜV- und ASU-Label aufgeklebt und das mit der grünen Umweltplakette ausgezeichnet worden ist, an eine Schrottpresse übergeben werden? Etwa aus Umweltschutzgründen? Absurd! Was unterscheidet eigentlich einen neuen BMW 5er mit einer CO2-Emission von 184 g/km von unserem betagten Rover 618i, um argumentieren zu können, der eine sei prämienwürdig und der andere eine Dreckschleuder? Der Gedanke, dass das zuverlässigste Auto, das wir je gehabt haben, abgewrackt und zu Metallschrott zusammengepresst noch in diesem Jahr auf einer Müllhalde landen soll, treibt mir fast die Tränen in die Augen.

 

Entschlossen wische ich diese sentimentalen Skrupel beiseite und betrachte die Ange­legenheit pragmatisch. Wir leben nun einmal in einer Wegwerfgesellschaft, in der kein Platz ist für Betagtes. Schon gar nicht für ein zwölf Jahre altes Auto. Deshalb plädiere ich dafür, dass für andere Objekte ebenfalls Abwrackprämien gezahlt werden, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben. Auch alte Kaffee­maschinen sind förderungswürdig. Oder elektrische Zahnbürsten ... oder ….! 

Zur Zeit fehlt es aber noch an der Lobby. Der häufig mit Mona-Lisa-Lächeln auftretende Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, zgl. ehemaliger CDU-Verkehrs­minister, darf deshalb allein über das Konjunkturprogramm frohlocken und die Regierung für „ihre Fähigkeit zu zielorientiertem Handeln“ loben.

Was geschieht eigentlich, wenn die deutsche Autoindustrie deshalb nicht gestärkt wird, weil sich die Prämienempfänger überwiegend für spritsparende Kleinwagen entscheiden? Solche werden bekanntermaßen überwiegend im Ausland hergestellt. Dann wäre die Abwrackprämie ein Konjunkturprogramm für Fabriken in Italien, Tschechien oder Frankreich. Eine aberwitzige Investition mit deutschen Steuer­geldern. Was geschieht mit der Kurzarbeit bei VW, Opel oder BMW und ihren Zulieferern in Deutschland? Welchen Rettungsschirm hat unsere politische Führung dann parat?


Fragen über Fragen schwirren mir jetzt durch den Kopf und machen mich ganz schwindelig. Dann reiße ich mich aber zusammen und vertraue voll der politischen Weitsicht unserer Regentin und ihrer Prophezeiung, dass wir nach der derzeitigen Krise besser aufgestellt sein werden als je zuvor. Zu den Gewinnern will auch ich gehören und bin jetzt fest entschlossen, mir die avisierte Umweltprämie, Verzeihung, Abwrackprämie zu sichern und so die Wirtschaft anzukurbeln. Schließlich geht es nicht um eine x-beliebige Branche der Kaffeemaschinen- oder Zahnbürstenhersteller, sondern um die Autoindustrie. Und die gehört nach den Worten unserer Kanzlerin „zur Kernsubstanz unseres Industrielandes“. Für dieses Ziel müssen Opfer gebracht werden. Dazu zählt auch dieser vierrädrige Zwölfender, der meiner Frau so ans Herz gewachsen ist und jetzt in seiner Garage vor sich hindöst.

Um auf andere Gedanken zu kommen, entschließe ich mich zu einer Spritztour mit diesem Vernichtungskandidaten. Als ich die Garage betrete, bemerke ich eine große Wasserlache unter der alten Schrottlaube, denke mir aber nichts dabei. Ich stecke den Zündschlüssel ins Zündschloss und betätige den Anlasser. Ein kreischendes, ja fast wehklagendes Geräusch lässt mich zusammenzucken. Der nächste Startversuch geht auch fehl, ebenso ein dritter. ‚Was ist mit der alten Kiste los?’, frage ich mich und steige wieder aus.

Als ich die Motorhaube öffne, vernehme ich ein leises Stöhnen und sehe, wie Wasser von den Scheinwerfern auf den Betonboden tropft.

„Du hast mich verstoßen. Seit einer Woche bist du nicht mehr hier gewesen“, schluchzt es tief aus dem Motorraum.

„Stell’ dich nicht so an“, antworte ich. „Es ist schließlich Winter, und da fährt man nicht so häufig.“

„Aber im Sommer bist du auch …“

„Ganz recht“, unterbreche ich den Schrott­presseaspiranten, „es ist viel gesünder, mit dem Fahrrad zu fahren und zu Fuß zu gehen. Da spare ich obendrein eine Menge Sprit.“

„Aber das Benzin ist doch jetzt wieder billiger, da könntest du  …“

„Das wird sofort wieder teurer, wenn die Leute mehr mit dem Auto fahren. Außerdem geht es mir um Umweltschutz und um den CO2-Ausstoß, wenn du weißt, was …“

„Bin ich etwa ein Spritfresser?“ unterbricht mich mein Dialogpartner respektlos.  „Das bist doch immer du, der das Gaspedal bis zum Anschlag …“

„Mit deinen zwölf Jahren bist du so oder so eine alte Dreckschleuder. Auch wenn ich langsamer fahre. Das sagt übrigens unser Bundeswirtschaftsminister, und der muss es schließlich wissen.“

"Meinst du diesen jungen von und zu Senkrechtstarter oder den bereits entsorgten? Letzterer sollte lieber still sein. Der ist doch zum „Umwelt-Dinosaurier des Jahres 2008“ ernannt worden. Eine nicht gerade schmeichelhafte Auszeichnung.“

„Woher weißt du das?“

„Ich höre schließlich mit, wenn du das Autoradio einschaltest. Deshalb bin ich über alles informiert.“

„Wenn das so ist, dann weißt du auch, was dir durch die Abwrackprämie blühen wird“, falle ich brutal mit der Tür ins Haus.

Jetzt ist es heraus. Jetzt nur nicht weich werden, auch wenn der Kerl gleich wie ein Schlosshund heulen und die Garage überfluten wird.

„Ich weiß, dass meine Tage gezählt sind“, antwortet er bescheiden. „Aber das geht nicht nur uns Autos so.“

„Was meinst du damit?“, will ich wissen.

„Nun, es gibt ja auch eine Abwrackprämie für ältere Menschen, das habe ich …“

„Wieso Abwrackprämie für ältere Menschen?“

„Na, im Rahmen eurer letzten Rentenreform bekommen die Arbeitgeber zunächst bis zum Jahr 2011 staatliche Zuschüsse für jeden Arbeitnehmer, der älter ist als 50 und den sie nach Hause schicken. Das soll den Sozialstaat retten. Ist doch auch eine Abwrackprämie oder etwa nicht?“

„Das hat überhaupt nichts mit der Prämie zu tun, von der ich rede. Die dient dem Umweltschutz und wird die Automobilindustrie ankurbeln und …“

„… und den Finanzminister wird es freuen, denn der kassiert mehr Mehrwertsteuer als er an Prämien zahlt“, unterbricht er mich mit spöttischem Tonfall. „Reine Augenwischerei.“

„Was willst du denn für ein Auto kaufen?“, wechselt mein Gegenüber plötzlich das Thema.

„Na, bestimmt keinen Spritfresser wie dich. Jetzt ist niedriger Kraftstoffverbrauch mit geringstem CO2-Ausstoß angesagt, auch wegen der Kfz-Steuer“, antworte ich.

„Und du glaubst, dass du in diesem Jahr ein solches, in Deutschland hergestelltes Auto finden wirst?“.

„Man wird sehen. Ich habe jetzt keine Lust mehr, mit dir über Dinge zu diskutieren, die du nicht verstehst“, beende ich den Dialog und verlasse mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch die Garage.


Die Nacht verbringe ich mit Turnübungen im Bett und wälze mich dabei unruhig von einer Seite auf die andere. Aus allen Richtungen tönt es marktschreierisch: „Die Abwrackprämie ist pervers“… „Sie vernichtet ökonomische Werte“ … „Die Automobilkrise dauert fünf Jahre“ … „Die Abwrackprämie bringt für die Arbeitsplätze gar nichts“ … "Steuermilliarden für das Ausland" ... „Todesurteil für ältere Autos“ … „Kleine Reparaturwerkstätten brechen weg“ … „Abwrackprämie für Rentner“ … „Preisgünstige Kleinwagen aus Rumänien“ … „Verschrottet die alten Dreck­schleudern“ … „Sozialverträgliches Frühableben“ … „Deutsche Autos nach nur neun Jahren Schrottkisten“ … „Zuschüsse zur Frühverrentung“ … 

Ich albträume von einer Regierungschefin, wie sie nach neun Jahren Amtszeit in Gestalt einer alten Fregatte abgewrackt wird, dafür eine Prämie von Gazprom erhält und dort die Nachfolge ihres Vorgängers antritt. Als aus dichten Nebelschwaden schließlich meine Frau auftaucht und ich sehe, wie sie einen Abwrack­prämienantrag für die Verschrottung ihres Gatten bei der zuständigen Behörde einreicht, wache ich in Schweiß gebadet auf.

Ich beschließe, das Wort „Abwrackprämie“ zum Unwort des Jahres auszurufen.